Überwuchert mit Efeu und einsturzgefährdet - die Grabstelle der Familie Seydlitz und Kurzbach war lange Zeit ein Sorgenkind des Friedhofs. Viele Jahre wurde sie nur provisorisch vor dem Einsturz
bewahrt. Ein Bauzaun und ein "Betreten verboten"-Schild "zierten" die Grabstelle ebenso wie die sie überwuchernden Unkräuter bis hin zu aufwachsenden Bäumen. Im Inneren des offenstehenden
Grufthauses sammelten sich regelmäßig Bierflaschen und anderer Müll.
Doch immer wieder kam es zu Anfragen zu der Stelle:
Ein langjähriger Unterstützer des Alten Annenfriedhofs erkundigte sich nach den hier Beigesetzten, nach dem Vorhandensein einer Treppe und Informationen dazu, ob hier einmal ein Ziergitter
vorhanden gewesen sei. Die Fragen wurden durch die Friedhofsverwaltung beantwortet, ein tiefergehendes Erforschen der Stelle konnte jedoch zeitlich und finanziell nie realisiert
werden.
Eine weitere Person wies darauf hin, dass hier Thekla von Gumpert bestattet sei, eine bedeutende Jugendbuchautorin aus der Preußenzeit.
Nun begab es sich jedoch im Jahr 2020, dass die angrenzende Mauer Richtung Chemnitzer Straße aufgrund ihres schlechten Zustands saniert werden musste. Das war die Gelegenheit zumindest die
Standsicherheit der Grabstelle wiederherzustellen!
Im Zuge der Mauersanierung durch die Fa. Trinitz musste nun also das Wandgrabmal komplett ab- und wiederaufgebaut werden. Die Schrägstellung wurde auf den dahinterstehenden Kastanienbaum
zurückgeführt, für den eine Wurzelbrüche in der hinter dem Grabmal liegenden Mauer eingebaut wurde. Im Rahmen einer Bauberatung bat die Baufirma darum die Gruft mit Flüssigboden verfüllen zu
können, damit sie diese zur Sanierung mit Maschinen befahren können - eine pragmatische Lösung. Die Gruft war schon seit vielen Jahrzehnten verfüllt, doch durch den zentral über die Gruftöffnung
eingefüllten Boden bleiben Hohlräume.
Der zwischendurch unter Erde und Unkrautaufwuchs wiederentdeckte Beton-Fliesenboden mit blauem Sternmuster war schon in Teilen abgetragen worden, um diesen beim Befahren nicht zu
beschädigen.
Es war dem Denkmalpfleger der Unteren Denkmalschutzbehörde Dr. Ulrich Hübner zu verdanken, dass die Gruft letztlich wieder geleert statt vollständig verfüllt werden sollte. Friedhofsverwalterin
Lara Schink war hier schnell zu überzeugen, erinnerte sie sich doch an die vergangenen Anfragen.
Die Treppe im Grufthaus - wozu diente sie?
Das Gruftgewölbe musste repräsentativ gestaltet gewesen sein, wenn man es besuchen konnte.
Aber warum war es verfüllt worden?
Das ist normalerweise der Fall, wenn die Standsicherheit einer verwaisten Gruft beeinträchtigt ist und die Mittel für ihre Sanierung fehlen.
Wenn der Baum das Wandgrabmal und die Mauer derart in Schräglage gebracht hat und es einen Grund gab die Gruft zu verfüllen - sicher war sie einsturzgefährdet?
Nachdem massenweise Erde und sämtliche Abfälle, die zu DDR-Zeiten und bis kurz nach der Wende leider zu gern mit zum Verfüllen verwendet worden sind (u. a. Schuhe und Einmachgläser) aus der Gruft
wieder herausgeholt wurde, kam ein fast völlig intaktes Gruftgewölbe zutage.
Ähnlich einer Krypta war es, wie vermutet, über eine im Grufthaus vorhandene Treppe erreichbar.
In der Gruft selbst wurden gefunden:
- zwei Metallsarkophage, einer ohne Innensarg
- Überreste (Holz, Metallornamente und - füße) von zwei Holzsärgen, sowie die Gebeine aus diesen
- drei Urnen aus (vermutliche Goldbank-)Kalkstein
- die Gittertür, mit der die Gruft im Untergeschoss zusätzlich verschließbar war
- Sandsteintischbeine und Schiefertischplatte, die aus dafür geschaffenen Wandfugen herausgebrochen worden waren
Um den weiteren Umgang mit der Gruft zu klären, wurde die Forschungsstelle Gruft beauftragt das Bauwerk und die gefundenen Objekte zu untersuchen. Dabei galt es unter anderem zu klären, ob die
Zugehörigkeit von Grabstätteninhaber Reinhart und seinem erstbeigesetzten Vater Georg von Seydlitz und Kurzbach zu den Freimaurern in Elementen der Grabgestaltung sichtbar wird. Einerseits ging
es hier um Symbolik in der Gestaltung, aber auch die Frage, ob Tempelarbeit in der Gruft stattgefunden haben könnte. Unterstützt wurde die Erstellung der Gutachten finanziell durch die Ev.-Luth.
Landeskirche Sachsens.
Das Gutachten kam zu folgenden Ergebnissen - in Bezug auf freimaurerische Gestaltungselemente:
=> die blaue Farbe am Wandgrabmal wird eher für Vandalismus gehalten, aufgrund ihrer Unregelmäßigkeit, Kleinteiligkeit und weil sie für ein aufgehendes Bauwerk ungewöhnlich sei
=> die Tische in der Gruft kommen für die freimaurerische Tempelarbeit eher nicht infrage, aufgrund ihrer Gestaltung, sie dienten wohl eher dem Aufstellen von Särgen
=> die Konsole am Kopfende der Gruft diente wahrscheinlich zum Aufstellen einer Blumenvase, Kerze oder Ähnlichem
=> die Gruft erlaubt in ihrer Dimension keine gebräuchliche Tempelarbeit und in einer Gruft ist diese auch nicht üblich
=> die drei Urnen haben vermutlich auf den Schiefertischen oder dem Boden gestanden, hatten aber wahrscheinlich keinen symbolischen Wert bezogen auf die drei freimaurerischen Säulen Weisheit,
Stärke und Schönheit
=> möglicherweise waren in den Särgen jeweils drei Rosen zu finden gewesen als Grabbeigabe, durch Spuren zwischenzeitlicher Plünderung war dies jedoch nicht nachweisbar
=> dünne Eisenringfragmente belegen vergangene Kränze in der Gruft
=> auch wenn gestalterische Bezüge zur Freimaurerei nicht ganz auszuschließen sind, sind diese nicht eindeutig festzustellen
Das Gutachten kam zu folgenden Ergebnissen - in Bezug auf die Inhalte der Metallsärge:
=> die Metallsärge wiesen Spuren von Plünderung auf (aufgebrochen, ein Innensarg fehlte, Gebeine waren durcheinandergebracht)
=> die Leichname im größeren der zwei Metallsarkophage waren gebettet in Hobel- und Sägespäne, sowie ein helles, beschichtetes Gewebe als frühe Art einer Einlegefolie
=> gefundene Textilfragmente deuten hin auf eine vermutlich hell-naturfarbene Kostümjacke oder Bluse, zu ihr gehörte vermutlich auch ein konvexer, mit Fäden umstickter Knopf - diese gehörte
vermutlich zu den Gebeinen einer weiblichen, deutlich über 60-jährigen Frau (vermutlich: Eugenie Marianne Freifrau von Seydlitz)
=> im Metallsarg lag eine große Eisenschere - durchaus wohl ein regelmäßiger Fund in Gräbern und Särgen: wahrscheinlich war mit ihr die Leichenkleidung geschneidert worden und sie wurde nach
dem Gebrauch dafür als "unrein" betrachtet; möglich auch, dass die Beigabe als Symbol für den "abgeschnittenen Lebensfaden" diente
Das Gutachten kam zu folgenden Ergebnissen - in Bezug auf die Überreste von Holzsärgen:
=> es konnten mindestens zwei Holzsärge nachgewiesen werden
=> einer der beiden Holzsärge war mit vier gusseisernen Löwenfüßen und vier gußeisernen Griffen gestaltet
=> einer der beiden Holzsärge war ein Eichensarg mit mindestens je drei Griffen an den Untersargwangen; die Griffe waren industriell gefertigt und verfügte über eine Griffzier aus Zinkanguss;
der Sarg stammte vermutlich aus den späteren zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts
=> verschiedene halbplastische, geprägte Zinkblech-Kantenbeschläge mit Blüten- und Floralornamentik gehören ebenfalls zu den Holzsärgen, konnten jedoch nicht eindeutig einem der beiden
zugeordnet werden
Das Gutachten kam zu folgenden Ergebnissen - in Bezug auf die Urnen:
=> die drei Kalksteinurnen (vermutlich aus Kirchheimer Goldbank) dienten der Aufnahme von eisernen Aschekapseln
=> stilistisch sind sie dem Art-decó zuzuordnen, sie ähneln durch die Verwendung architektonischer Versatzstücke kleinen turmartigen Gebäuden mit vertikalen Strukturelementen und
Spitzbogenzitaten; den Deckel bildet ein eingefälztes Kugelsegment
=> eine der drei Urnen war für die Bestattung von Irene Maria Freifrau von Seydlitz genutzt worden und mit ihren Lebensdaten beschriftet, ihre eiserne Aschekapsel ist mit einer kleinen
Buntmetall-Plakette beschriftet
=> eine weitere trägt die Lebensdaten ihres Mannes und Grabstätteninhabers Reinhart Wendelin Balthasar Freiherr von Seydlitz-Kurzbach
=> die dritte Urne war leer und unbeschriftet, wahrscheinlich wurde sie nie für Bestattungen genutzt
Es konnten neben weiteren Gebeinen auch vier Schädel (teils nur fragmentarisch erhalten) der in der Gruft Bestatteten gefunden werden, die vier Erwachsenen entsprechen, von denen einer männlich
war.
Nach Freilegung der Gruft stand die Friedhofsverwaltung nun vor einem neuen (und womöglich gleichzeitig alten) Problem:
Die Gruft stand offen - sowohl durch eine fehlende Tür am Grufthaus, als auch durch den fehlenden Deckel der Gruft.
Zeitnah galt es daher die Särge, Urnen und Gebeine zu bergen, um diese vor weiterem Vandalismus zu schützen.
Oberstes Ziel bei der Beauftragung des Fachbetriebs für Metallrestaurierungen Artliaison war es die Verschließbarkeit der Gruft denkmalgerecht wiederherzustellen: dafür brauchte es einen Ersatz
für die fehlende Tür und eine neue Gruftabdeckung.
Bei der Tür gab die noch vorhandene Tür eine gestalterische Orientierung für einen Nachbau. Die noch erhaltene Tür wurde ebenfalls restauriert.
Überraschend für alle war der leuchtendblaue Farbbefund, der vom Landesamt für Denkmalpflege festgestellt werden konnte. Neben den Türen zum Grufthaus wurde auch die Gittertür am Fußende der
Treppe restauriert, sowie die Särge: aufgrund der Bruchempfindlichkeit des Materials konnten die Dellen und Blessuren dabei nicht komplett rückgängig gemacht werden - so bleibt das
Schicksal dieser Gruft auch am Zustand der Särge weiterhin sichtbar.
Dieses sollte auch bei der Gestaltung der neuen Gruftabdeckung eine Rolle spielen, die 2025 montiert werden wird. Auf ihr sind zusätzlich die Namen sämtlicher hier beigesetzter Frauen genannt,
die zuvor wohl keine Erwähnung fanden. Unklar ist, ob auch auf der ursprünglichen (vermutlich) Sandsteinabdeckung diese Namen nicht erwähnt werden. Am Wandgrabmal wird nur Georg Freiherr von
Seydlitz und Kurzbach als Erstbestatteter genannt.
Die Arbeiten wurden ermöglicht durch Projektfördermittel des Stadtbezirksamts Plauen. Eine Privatspende ermöglichte zusätzliche Maßnahmen.
Thekla von Gumpert:
1810 - 1897
Trotz ihrer auf dem Grabmal ursprünglich fehlenden Nennung ist Thekla Charlotte von Gumpert (verheiratete von Schober) die prominenteste der in der Gruft Beigesetzten. Sie war eine deutsche
Kinder- und Jugendschriftstellerin der Preußenzeit. Die preußische Denkweise prägte ihre Wertevorstellungen und ihre Publikationen wohl ihr Leben lang. Nachdem ihr Vater in ihrem 22. Lebensjahr
starb, nahm Baron von Seydlitz und Kurzbach (einem Verwandten) sie bei sich auf und sie kümmerte sich um die Erziehung seiner Kinder, was sie beruflich prägen sollte. Erst mit 46 Jahren
heiratete sie den Dichter Franz von Schober, dessen Namen sie annahm, von dem sie sich jedoch bereits vier Jahre später wieder trennte. Die Beziehung ermutigte sie dennoch
ihre erzieherischen und schriftstellerischen Fähigkeiten zu vereinen - dabei war sie sehr produktiv und erfolgreich und war zu ihrer Zeit eine der bekanntesten Jugend- und
Kinderschriftstellerinnen.
Zusätzlich engagierte sich Thekla von Gumpert sozial auch insofern, als dass Einnahmen aus dem Buchverkauf zum Teil Wohltätigkeitsorganisationen zuflossen.
Die obenstehenden Informationen sind ausführlicher noch hier zu finden: https://de.wikipedia.org/wiki/Thekla_von_Gumpert
Ergänzt werden kann hierzu, dass der o. g. Baron von Seydlitz und Kurzbach NICHT der hier beigesetzte Georg Freiherr von Seydlitz und Kurzbach war, der wiederum Ehemann von Theklas Schwester
Eugenie Marianne Freifrau von Seydlitz (geb. von Gumpert) war, die neben ihm in der Gruft bestattet ist.
Auch die Kinder der beiden soll Thekla von Gumpert erzogen und unterrichtet haben. Die Nähe beider Familien zueinander wird hier deutlich.
Die beigesetzten Mitglieder der Familie Seydlitz und Kurzbach - und der Grabstätteninhaber:
Die Familie "von Seydlitz" gehört zum schlesischen Uradel und ist weit verzweigt. Eine bedeutende Linie ist dabei die polnische Hauptlinie derer "von Seydlitz und Kurzbach". Aus ihr ist unter
anderem General Friedrich Wilhelm von Seydlitz und Kurzbach hervorgegangen, ein bekannter Feldherr unter Friedrich dem Großen.
Die Namen der Familienmitglieder fallen je nach Quelle unterschiedlich aus, folglich ist die Schreibweise auch hier teilweise variierend.
Georg Wilhelm Heinrich Balthasar Freiherr von Seydlitz und Kurzbach
1796 - 1874
Er war königlich-preußischer Major a. D. und ist in Venedig verstorben. Über ihn ist bekannt, dass er im vergleichsweise fortgeschrittenen Alter von 64 Jahren der Freimaurerloge "zum Goldenen
Apfel" beitrat. Den späten Eintritt begründete er mit seinem die "eigene Kraft wohl überschätzender Sinn
der Unabhängigkeit und der freien Selbstbestimmung" und dass er in jüngeren Jahren "fürchtete vielleicht nur das Werkzeug formenden Willens, das Mittel zu unbekannten, meiner Gesinnung
und meinen Ansichten wohl gar widersprechenden Zwecken zu werden.“
Georg von Seydlitz und Kurzbach zahlte in rascher Frequenz die Gebühren zum Aufstieg in den II. und III. Grad. Er erhielt sowohl Gesellenarbeit, als auch die Meisterweihe. Er beteiligte sich
aktiv an der Logenarbeit und vertritt diese auch als Großer Repräsentant der Großen Loge Royal York zur Freundschaft zu Berlin, der Großen Landesloge Sachsen und der Großen Loge von Hamburg. Er
hielt zusätzlich Vorträge bei den Logenabenden und verfasste Schriften. Aus gesundheitlichen Gründen verbringt er den Winter 1872/1873 in Italien und stirbt im Februar 1874 in Venedig.
(Quelle: Regina und Andreas Ströbl (2022): Die Bestatteten im Mausoleum der Familie von Seydlitz-Kurzbach auf dem Alten Annenfriedhof in Dresden, Ergebnisse der Forschungen im Geheimen
Staatsarchiv Berlin)
Aus Recherchen von Susann Wuschko, Gästeführerin und Mitglied des Freundeskreis der Annenfriedhöfe Dresden e. V., lässt sich ergänzend anmerken, dass die erste Ehe Georgs insofern interessant
ist, als dass der Adoptiv-Schwiegervater der Braut ebenfalls Freimaurer war. Joseph von Zerboni di Sposetti war jedoch nicht nur das, sondern auch ein "enfant terrible": er war ein begnadigter
Staatsverbrecher.
Marianne Eugenie Freifrau von Seydlitz
(geb. von Gumpert)
1815 - 1893
Marianne Eugenie war die zweite Ehefrau Georgs, die er zehn Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Auguste Emilie Charlotte (geb. von Zerboni di Sposetti) am 22.12.1845 heiratete. Sie war die
Tochter Christian Gottlieb von Gumperts, ein königlich-preußischen Regierungsrats, und dessen Frau Henriette Wilhelmine Eleonore. Sie ist folglich die Schwester Thekla von Gumperts.
Vermutlich ist sie die Mutter von Reinhardt Wendelin Balthasar Freiherr von Seydlitz-Kurzbach, der im Jahr 1851 geboren worden ist und der Grabstätteninhaber für die Gruft
war. Individuell über sie als Person ist aktuell wenig bekannt.
Henriette Auguste Klara Felicitas Freiin von Seydlitz
1833 - 1903
Möglicherweise handelte es sich hier um die Tochter Georgs aus erster Ehe, darauf lässt zumindest ihr Geburtsdatum schließen. Sie starb offenbar ledig, worauf der Titel "Freiin" hinweist und der
unveränderte Familienname. Über sie gibt es keine Informationen.
Maria Irene Freifrau von Seydlitz-Kurzbach
(geb. Simon de Pálya)
1848-1906
(beigesetzt 1919 ... oder 1918?)
Sie war die Ehefrau des Sohns von Georg und Eugenie: Reinhardt Freiherr von Seydlitz-Kurzbach. Die beiden heirateten 1876.
Obwohl sie 1906 bereits verstorben ist, wird ihre Beisetzung erst für September 1918 angegeben - und diese Datierung ist eine Korrektur der ursprünglich mit Bleistift angegebenen Datierung auf
"Mai 1919". Die vermeintlich späte Beisetzung und die ungewöhnlich unpräzise Angabe des Beisetzungsdatums (dieses ist ja aufgrund von Grabherstellung und Feierorganisation normalerweise sehr
genau in den Grabunterlagen angegeben) lassen vermuten, dass eine Verabschiedung kurz nach dem Tod erfolgte und eine Einäscherung geplant war. 1906 gab es jedoch erst sehr wenige Krematorien und
möglicherweise wurde Maria Irene somit entweder übergangsweise erdbestattet an einem anderen Ort oder, was wahrscheinlicher ist, eingeäschert und entweder durch den Nutzer vorerst zuhause
verwahrt - oder aber im Alleingang in der Gruft beigesetzt. Anlass dafür könnte sein, dass eine offizielle Urnenbestattung 1906 auf einem christlichen Friedhof sicher nicht ohne weiteres denkbar
war, dies war erst ab 1920 offiziell erlaubt - möglicherweise gab es aber individuelle Lockerungen auch vorher schon oder die Duldung war bereits absehbar.
(Quellen: die Lebensdaten und Verwandtschaftsverhältnisse sind teils den Beisetzungsdaten zur Grabstelle entnommen und stammen teils aus dem "Personal-Verzeichnis der jetzt lebenden
Generationen des Geschlechts Seydlitz", das 1888 von Rudolph Freiherr von Seydlitz und Kurzbach verfasst worden und hier zu finden ist: https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/download/pdf/8361370.pdf; die Informationen zu Maria Irene stammen aus Recherchen von
Susann Wuschko)
Nachdem die Arbeiten zwischenzeitlich durch fehlende finanzielle Mittel stagnierten und zusätzliche Recherchen zu Farbe, Persönlichkeitsgeschichten und Freimaurerbezügen notwendig geworden waren,
ging es im Jahr 2024 mit den steinrestauratorischen Arbeiten an der Grabstelle weiter. Diese waren eine Voraussetzung für den Wiedereinbau der Türen und die Montage der Gruftabdeckung.
Schwerpunkte der Arbeiten waren das Ergänzen von Vierungen, wo größere Fehlstellen vorhanden waren, die Wiederherstellung der Tische in der Gruft, sowie das Neuverlegen der Fliesen und dabei das
Herstellen einer sinnvollen Entwässerung für die Fläche. Auch eine Verblechung der Grabstelle und eine Wiederherstellung des Gruftkranzes wurden beauftragt. Die Ausführung übernahm der
Steinmetzbetrieb Paul Hempel.
Die Arbeiten wurden ermöglicht durch Projektfördermittel des Stadtbezirksamts Plauen. Eine Privatspende ermöglichte zusätzliche Maßnahmen wie das Richten eines statisch instabilen Teils des
Grufthauses und eine Drainage.
Haben Sie vielleicht weitere Hinweise oder alte Bilder der Grabstelle, die hier weiterhelfen könnten?
Trotz der umfangreichen Recherchen zu und Arbeiten an der Gruft bleiben eine Vielzahl offener Fragen:
Verstorben ist Irene Freifrau von Seydlitz-Kurzbach 1906, doch beigesetzt laut Friedhofsunterlagen erst 1918! Ist sie erst Jahre nach ihrem Tod eingeäschert worden, weil es in
Dresden noch kein Krematorium gab? Hat Reinhart seine Frau anderswo einäschern lassen und die Urne erst einmal mit nach Hause genommen oder diese vielleicht bereits 1906 selbst in die
Gruft gestellt und erst Jahre später gemeldet? Die evangelische Kirche lehnte die Feuerbestattung zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch prinzipiell ab und erlaubte diese offiziell erst ab
1920. Es ist also nicht auszuschließen, dass der Grabstätteninhaber den Friedhofsmeister hier vor vollendete Tatsachen stellte.